Die These, dass die Homöopathie während der Zeit des Nationalsozialismus besonders profitiert habe und dadurch bis heute kompromittiert sei, kursierte lange Zeit in verschiedenen Medien. Eine Aufarbeitung der Fakten setzte der Medizinhistoriker Robert Jütte in Gang. In einer historischen Expertise sprach er allerdings von „Geschichtsklitterung“, wenn Homöopathie und dem nationalsozialistem Regime ideologische Gemeinsamkeiten unterstellt würden. Vielmehr sei der Anteil von NSDAP-Parteimitgliedern in der Ärzteschaft allgemein höher gewesen als unter homöopathischen Ärzten. Auch der Vorwurf einer Beteiligung an Menschenexperimenten sei historisch nicht haltbar.

Tatsache ist aber auch, dass damalige Vertreter der Homöopathie Morgenluft witterten, als im Rahmen der „Neuen Deutschen Heilkunde“ eine Anerkennung und Gleichberechtigung ihrer Methode in Aussicht gestellt wurde [Haug 2009]. Ebenso hofften Vertreter homöopathischer Laienverbände, dass die Homöopathie im „Dritten Reich“ endlich Lehrstühle an den Universitäten und reguläre Abteilungen in den Krankenhäusern erhalten würde. Details zu den damaligen Aktivitäten sind in der genannten Expertise nachzulesen [Jütte 2013].

Eine vom damaligen Reichsgesundheitsamt ab 1936 in Auftrag gegebene Überprüfung der Homöopathie wurde später als „Donner-Report“ bekannt und häufig zitiert: Hierbei handelt es sich um einen Bericht, den der damalige Arzt Fritz Donner erst rund zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verfasste. Hierin wurden vor allem Mängel an homöopathischen Arzneimittelprüfungen diskutiert, die im Sinne eines fehlenden Wirksamkeitsnachweises interpretiert wurden [nachzulesen in Willi 2003]. Letztendlich gab es „keine Aufwertung der Homöopathie“ – so lautet ein weiterer Beitrag Jüttes im Deutschen Ärzteblatt [Jütte 2014].

Welche Rolle insbesondere der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) im Nationalsozialismus gespielt hat, wurde durch eine medizinhistorische Untersuchung durch Florian Mildenberger untersucht [Mildenberger 2016]. Hierin werden nicht nur die Verwicklungen der Mitglieder des DZVhÄ beschrieben, sondern darüber hinaus auch interessante Aspekte wie die Entwicklung der Konstitutionslehre, die Entstehung homöopathischer Abteilungen in verschiedenen Krankenhäusern, die Bemühungen um wissenschaftliche Studien oder die Rolle der Laienvereine.

Mildenberger räumt – ebenso wie zuvor schon Jütte – mit einem Missverständnis der bisherigen Medizingeschichte auf: Diese habe im Hinblick auf die Fragen nach dem Verhalten von Homöopathen im Nationalsozialismus häufig auf die Interessen führender Nazis verwiesen, wie beispielsweise Heinrich Himmler, der bestimmte Theorien der Homöopathie im Rahmen des Genozids an den Juden eingesetzt haben soll. Für diese Hypothese gebe es aber keinerlei haltbare Evidenz. Außerdem seien anthroposophische Medizin, Spagyrik und Homöopathie häufig in einen Topf geworfen worden: So hat es beispielsweise nach 1939 auch Versuche in Konzentrationslagern mit Komplexmitteln gegeben – konkret erwähnt wird der Magdeburger biochemische Arzt Rudolf Kießwetter im KZ Dachau –, allerdings spielten hier die Vertreter der Homöopathie bzw. des Zentralvereins keine Rolle.

Im Umgang mit eigenen, jüdischen Mitgliedern verhielt sich der DZVhÄ passiv: Die Emigration homöopathischer Ärzte ins Ausland wurde stillschweigend hingenommen. Am Ende der Weimarer Republik „stand die ärztliche Homöopathie ideengeschichtlich, wissenschaftstheoretisch und methodisch“ auf Seiten der Nationalsozialisten, so Mildenberger. Die im Zentralverein organisierten homöopathischen Ärzte waren aber weder in rassenhygienische Planungen noch in Experimente in Konzentrationslagern involviert. Das Verhalten der Mitglieder war allerdings teilweise von „Wegschauen und gelegentlichen tiefen Verbeugungen“ geprägt. Man sei dabei von der „launigen Gunst“ einiger mächtiger Vertreter des nationalsozialistischen Machtapparates abhängig gewesen. Erstaunlicherweise wurde die „zunehmende Deklassierung“ der Homöopathie ab 1939 „mit völliger Passivität in Vereinsangelegenheiten“ hingenommen. Die homöopathischen Ärzte hätten sich – wie es Robert Jütte im Deutschen Ärzteblatt 2014 ausgedrückt hat – in der „Polykratie des nationalsozialistischen Gesundheitsweisens“ verloren. Letztlich seien auch sie „nicht mehr und nicht weniger ‚ordinary Germans'“ gewesen.

Literatur

Haug R: Die Auswirkungen der NS-Doktrin auf Homöopathie und Phytotherapie. Eine vergleichende Analyse von einer medizinischen und zwei pharmazeutischen Zeitschriften. Dissertation,  Fakultät für Lebenswissenschaften der Technischen Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig 2009 https://leopard.tu-braunschweig.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dbbs_derivate_00007840/Gesamtdokument_07042009.pdf

Jütte R: Homöopathie und Nationalsozialismus – eine historische Expertise (Stand 16. Mai 2013) https://www.igm-bosch.de/files/img/pdf-dokumente-publikationen/Pluralismus%20in%20der%20Medizin/HomoeopathieundNationalsozialismus.pdf

Jütte R: Homöopathie und Nationalsozialismus. Letztendlich keine Aufwertung der Homöopathie. Deutsches Ärzteblatt 2014; 111(8): A304-A306 https://www.aerzteblatt.de/archiv/155370/Homoeopathie-und-Nationalsozialismus-Letztendlich-keine-Aufwertung-der-Homoeopathie

Mildenberger FG: Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahme, Kritik, Interpretation. Göttingen: Wallstein 2016 https://www.wallstein-verlag.de/9783835318793-der-deutsche-zentralverein-homoeopathischer-aerzte-im-nationalsozialismus.html

Willi R: Homöopathie und Wissenschaftlichkeit. Georg Wünstel und der Streit im Deutschen Zentralverein von 1969 bis 1974. Essen: KVC 2003