Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) ist bekannt für hochqualitative Berichterstattung auf der Grundlage gründlicher journalistischer Recherchen, vor allem in den Bereichen Politik und Wirtschaft. Was den Wissenschaftsjournalismus angeht, sind allerdings immer wieder Fragezeichen zu setzen.

Zwar ist es erfreulich, dass in der F.A.Z. auch umstrittene Themen wie die Homöopathie Erwähnung finden. Allerdings ist schon die Überschrift eines aktuellen Beitrags vom 6.11.2023 – „Globuli können Ritalin doch nicht ersetzen“ [Feldwisch-Drentrup 2023] – nicht nur inhaltlich falsch, sondern auch irreführend: Ein Vergleich zwischen Homöopathie und Ritalin wurde von den Autorinnen und Autoren der dort besprochenen Metaanalyse überhaupt nicht thematisiert. Zusätzlich suggeriert die Überschrift, dass ADHS in erster Linie rein medikamentös behandelt würde – auch das ist falsch, spiegelt aber wohl auch die derzeitige, allgemeine Wahrnehmung, das Problem sei schnell nur mit einer „Pille“ zu lösen. Natürlich brauchen Journalisten eine „Story“, der Titel muss ein „Eyecatcher“ sein und zum Weiterlesen anregen. Das ist normales journalistisches Handwerk. Ein sachlicher Bericht über die neue ADHS-Metaanalyse (in die sich tatsächlich ein Fehler eingeschlichen hatte), wäre hilfreicher gewesen als die Verbreitung von Fehlinformationen.

Eine weitere Behauptung im besagten Artikel ist ärgerlich: Der Stand der Wissenschaft sei eindeutig, bei hochverdünnten, wirkstofflosen Homöopathika handele es sich um Placebos – so der Autor Hinnerk Feldwisch-Drentrup. Wie so häufig im Bereich des Wissenschaftsjournalismus – auch in vielen anderen, so genannten Leitmedien – werden die tatsächlichen Fakten ganz bewusst negiert oder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen: Die Mehrzahl der Studien zur Homöopathie zeigt nämlich positive Effekte, wenn auch bis heute nicht endgültig erklärbar. Die journalistische Haltung dabei ist klar: Hier wird a priori die Unwirksamkeit der Homöopathie unterstellt, der ganze Artikel ist letztlich nur noch unwesentlicher Füllstoff. Das ist das Gegenteil von wissenschaftlichem Denken, das grundsätzlich eine Offenheit hinsichtlich der Ergebnisse verlangt. Der Autor hat sich hier selbst entlarvt.

Die Berichterstattung zur Homöopathie befindet sich schon seit vielen Jahren in der Sackgasse. „Ein Ritterschlag für Quacksalber?“ betitelte die F.A.Z. beispielsweise einen Artikel zur Homöopathie aus dem Jahre 2014 [Lenzen-Schulte 2014]. Auch damals schon stand die Homöopathie am Pranger des Medizinjournalismus, mit derselben Behauptung: Schließlich gebe es „für die Wirksamkeit der Homöopathie keine wissenschaftliche Evidenz“. Positive Ergebnisse zugunsten der Homöopathie würden nur dadurch entstehen, dass die Werkzeuge der Evidenzbasierten Medizin (Stichwort: placebokontrolliert-doppelblind) unzulänglich seien – so der Tenor der Artikels.

Was fällt hierbei besonders auf? 1. Die Sprache, die reißerischen Überschriften – hier: „Ritterschlag für Quacksalber?“. Damit werden alle Anwender homöopathischer Arzneien von Vornherein als „Quacksalber“ diffamiert – eine erstaunliche Unterstellung. Arbeiten die vielen Tausend homöopathischen Ärzte und Heilpraktiker in Deutschland wirklich mit der Überzeugung, unwirksame Medikamente zu verschreiben, nur um damit viel Geld zu machen? Hier wird eine ganze Berufsgruppe pauschal verleumdet. 2. Die Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte zur Grundlagenforschung und klinischen Forschung in der Homöopathie werden weiterhin hartnäckig und systematisch vom Wissenschaftsjournalismus ignoriert. Zahlreiche, weitere Beiträge in der F.A.Z. stoßen in dasselbe Horn, man liest vom „Wahn um homöopathische Globuli“, „Globuli gehören ins Süßigkeitenregal“ oder „Wer an Zuckerkügelchen glaubt“.

Dieses Phänomen erinnert an Cancel Culture, oder, wie es der Islamwissenschaftler Thomas Bauer in seinem lesenswerten Büchlein „Die Vereindeutigung der Welt“ so schön beschrieben hat, an Ambiguitätsintoleranz. Darunter versteht man den Verlust der Fähigkeit, Phänomene der Mehrdeutigkeit, der Unentscheidbarkeit und Vagheit zu ertragen, ohne darauf aggressiv zu reagieren oder diese einseitig zu bewerten. Dies betrifft heutzutage nicht nur die Homöopathie, sondern viele, kontrovers diskutierte Themen in der Medizin und in verschiedensten anderen, gesellschaftlichen Bereichen [Dahler 2020].

Literatur

Dahler J, Lucae C, Wischner M: Erst zuhören, dann reden. Rotary Magazin, Februar 2020, S. 41-43 https://rotary.de/gesundheit/erst-zuhoeren-dann-reden-a-15473.html

Feldwisch-Drentrup H: Globuli können Ritalin doch nicht ersetzen. F.A.Z. 6.11.2023 (online) https://www.faz.net/aktuell/wissen/medizin-ernaehrung/homoeopathie-bei-adhs-globuli-ersetzen-ritalin-doch-nicht-19290179.html

Lenzen-Schulte M: Ein Ritterschlag für Quacksalber? F.A.Z. 9.1.2014 (online) https://www.faz.net/aktuell/wissen/medizin-ernaehrung/versagen-der-medizin-homoeopathie-ein-ritterschlag-fuer-quacksalber-12740075.html